Leserbrief

Rutschdika oder: Sie sprangen von den Hängen

Ausgabe 17 vom 30. April 2023

Die goldenen Bänke sind schon da. Die Bundesgartenschau kommt noch (Stand heute). Doch wird es auch die umstrittene Hängeseilbrücke geben, eines der Ankerprojekte der BUGA?
Neuen Schwung bekommen hat die Diskussion durch eine Idee aus dem brasilianischen Rio de Janeiro, die sich als mindestens gleichwertige Alternative erweisen könnte. Amweltbekannten „Zuckerhut“ wurde mit dem Bau einer 755 Meter langen Seilrutsche begonnen, auf der man sich zukünftig auf speziellen Sitzen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 km/h talwärts bewegen kann. Als Start- und Zielpunkte dienen Plattformen an den Stationen der Seilbahn, die auf den „Zuckerhut“ führt. Die vorgesehenen vier parallelen Abstiegsrouten haben eine Kapazität von 100 Nutzerinnen und Nutzern pro Stunde. Fertiggestellt werden soll die Anlage bereits in der zweiten Jahreshälfte 2023.
In Wuppertal hat das Projekt dem Vernehmen nach am Rande der letzten Ratssitzung in den Flurgesprächen die Runde gemacht haben. Aus fast allen Fraktionen wurde schon grundsätzliche Unterstützung signalisiert. Für die Stadt quasi entdeckt hat das Projekt jedoch der Wuppertaler FDP-Landtagsabgeordnete Marcel H., der für seine verkehrspolitische Expertise und seine guten Kontakte zu den jeweiligen Landesverkehrsministern bekannt ist.
„Ich verstehe nicht“, so H., „warum wir angesichts der Wuppertaler Topographie – Wuppertal ist im Prinzip eine Bandstadt, die sich auf die Hänge und Höhen südlich und nördlich des Flusses ausgebreitet hat – nicht selbst auf diese Idee gekommen sind. Die Analogie zur Wuppertaler Schwebebahn ist doch offensichtlich: Man hängt ebenfalls, in diesem Fall aber eben ganz individuell. Für mich ist das ein Baustein zu einem kollektiven Individualverkehr der Zukunft. Sein Parteifreund Volker W., derzeit Bundesverkehrsminister, sei geradezu begeistert. Auch der grüne Landesverkehrsminister scheint von der Idee aus Brasilien durchaus angetan zu sein:
„Man ist nachhaltig unterwegs, sozusagen mit Schwerkraftantrieb, und ohne dass sich das ‚Verkehrsmittel‘ bewegen muss.“ Auf Bitte von H. würden derzeit sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene Fördermöglichkeiten aus öffentlichen Töpfen geprüft.
Angesprochen auf die begrenzte Kapazität des Systems, verweist H. auf die Innovationsfreude und Ingenieurskunst in Wuppertal. Nach seiner Einschätzung könne mit einer baldigen technischen Lösung des Problems gerechnet werden. So sei beispielsweise der Eigentümer eines Wuppertaler Boulderparks dabei, ein aus dem Bergsteigerequipment abgeleitetes „Hosenträgermodell“ zu entwickeln, mit dem man sich direkt und zeitsparend einklinken könne und das unter Mantel oder Jacke getragen gar nicht auffalle. Gegenwärtig arbeite man noch an der Geschwindigkeitsregulierung.
Selbst der Vorsitzende des BUGA-Fördervereins räumt ein, dass die Idee nicht unattraktiv ist: „Man könnte an der Wupperpforte mit Seilrutschen von der Königs- und von der Kaiserhöhe beginnen und im Rahmen der BUGA+ weitere Hänge beziehungsweise Höhen erschließen. Als Umsteigehubs für die Weiterfahrt mit anderen Verkehrsmitteln dürften sich vorhandene Schwebebahnstationen nutzen lassen. Wünschenswert wäre, dass die Stadt die Öffnung der Dächer erlaubt, so dass man direkt auf den Bahnsteig gelangen kann. Die Beförderungszeiten im einstelligen Minutenbereich wären auf jeden Fall sensationell.“
Für den ÖPNV würde das neue Verkehrsmittel im morgendlichen Berufs- und Ausbildungsverkehr eine willkommene Entlastung bringen. Die freien Fahrzeug- und Personalkapazitäten könnten umgelenkt werden und einen signifikanten Beitrag zur Lösung des Transportproblems für Studentinnen und Studenten zwischen Hauptbahnhof und Universität leisten, das nach der Ablehnung einer Seilbahn durch die Wuppertaler Bevölkerung vor einigen Jahren immer noch auf eine Bearbeitung wartet.
Zumindest ein Teil der Wuppertaler Wirtschaft ist anscheinend ebenfalls von dem Projekt überzeugt. Auf Initiative einiger Metallbaufirmen soll zeitnah ein gemeinnütziger Förderverein gegründet werden; möglich sei aber auch eine Erweiterung des bestehenden BUGA-Fördervereins um einschlägige Akteure. Fest geblockt in den Kalendern einer Reihe Wuppertaler Entscheiderinnen und Entscheider ist für den Herbst, d.h. wenn die Anlage am Zuckerhut in Betrieb genommen worden sein wird, eine mehrtägige Dienstreise nach Rio, wo man gemeinsam die Seilrutschen einem Praxistest unterziehen will. Mit zur Delegation gehören sollen aber auch einige stadtbekannte Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft.

Georg Wilke
Elfriede-Stremmel-Str. 53
42369 Wuppertal

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