KW07 | 16.02.2025

Lesung: Vom Scheitern und der eigenen Verantwortung

Schriftstellerin Julie von Kessel las in der Ronsdorfer Stadtteilbibliothek

Patricia Crede, Julie von Kessel, Peter Klohs und Antje Bürger (v.l.n.r.) konnten sich über eine gelungene Lesung am Abend in der Stadtteilbibliothek freuen. (Foto: db)

(Ro./LMP) Antje Bürger („Ronsdorfer Bücherstube“) und Patricia Crede (Stadtteilbibliothek Ronsdorf) konnten am Freitagabend rund 50 Literaturinteressierte zu einer gemeinsamen Veranstaltung in der Bibliothek begrüßen. Julie von Kessel, Journalistin und Autorin, las aus ihrem Buch „Die andern sind das weite Meer“. Treffsicher moderiert wurde das Ganze von Peter Klohs, der ja selbst als Journalist und Autor in der Region einen guten Namen hat.
Wie schon in ihren ersten beiden Romanen, „Altenstein“ und „Als der Himmel fiel“, verarbeitet Julie von Kessel auch in diesem Werk eigene Erfahrungen und Erlebnisse. So erzählt die in Helsinki geborene Diplomatentochter in ihrem Buch die Geschichte eines an Demenz erkrankten ehemaligen Staatsbeamten in Bonn. Seine drei Kinder haben alle mit sich selbst zu tun – die älteste Tochter ist gerade als Journalistin in der Ukraine unterwegs, der mittlere Sohn versucht als Psychiater den Zugang zu seinen Patienten und sich selbst wiederzufinden, und die jüngste Tochter ist an Krebs erkrankt.
Die Geschichte wird zunächst jeweils aus der Sicht dieser vier handelnden Personen erzählt, bevor die einzelnen Handlungsfäden miteinander verflochten werden. „Die andern sind das weite Meer“ ist keine leichte Lektüre, fesselt aber von der ersten bis zur letzten Seite und kommt mit durchaus humorvollen Situationen daher.
„Mir ist aufgefallen, dass es in diesem Buch keinen wirklich negativen Charakter gibt“, erklärte Peter Klohs gegenüber der Autorin. „Das ist richtig“, bestätigte Julie von Kessel. „Wenn ich meine handelnden Figuren entwerfe, muss ich sie selbst mögen.“ Nach dem „roten Faden“ des Buches gefragt, antwortete sie: „Alle in dieser Familie sind mit einer bestimmten Form des Scheiterns konfrontiert. Sie kommen in gewisser Weise mit ihrem Leben nicht mehr klar. Aber außer dem Vater, der ja für seine Krankheit nichts kann, sind alle für ihre Situation selbst verantwortlich und müssen ihre Illusionen über ihr eigenes Leben ablegen. Sie müssen erkennen, dass sie selbst die Verantwortung für ihr Leben haben.“
Julie von Kessel gab dem fragenden Publikum an diesem Abend auch Einblicke in ihr Privatleben: „Wenn ich schreibe, gibt es immer wieder Situationen, in denen ich Dinge, die ich selbst erfahren habe, noch einmal durchlebe.“
Die Journalistin war am 11. September 2001 beim Anschlag auf das World Trade Center hautnah dabei und berichtete als ZDF-Korrespondentin als eine der ersten aus New York. Sie ist für ihre Recherchen in die Ukraine gereist und hat in Kiew Drohnenangriffe miterlebt.
Während der Corona-Zeit musste sie sich einer Krebstherapie unterziehen. Für jemanden, der so viel erlebt und erfahren hat, wirkt die 52-Jährige erfrischend aufgeschlossen und durchweg sympathisch.
Mit ihren beiden Geschwis­tern hat sie nach ihren eigenen Angaben ein harmonisches Verhältnis – ihre ältere Schwes­ter, die renommierte Schauspielerin Sophie von Kessel, hat ihr erstes Werk als Hörbuch eingelesen.

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