(Ro./PK) Der 1. Vorsitzende der Lüttringhauser Volksbühne, Christian Wüster, der auch alle Stücke des ambitionierten Amateur-Theaters schreibt, hat mit seinem aktuellen Stück „Die Ausgemeindung“ einiges bewirkt. Zunächst einmal hat er es geschafft, ein ernstes Thema den Theaterbesuchenden mit viel Humor nahezubringen. Und er hat die Volksbühne moderat modernisiert, ohne die Traditionen zu verleugnen oder zu vergessen. Beides wurde vom (trotz Fußball-EM) zahlreich erschienen Publikum bei den insgesamt sechs Aufführungen „em dorp“ mit begeisterndem Applaus gewürdigt.
„Die Ausgemeindung“ hat im Kern ein ernstes Thema: Demagogen, Hetzer, Aufwiegler – und zu was sie im Stande sind. Ins Dorf Lüttringhausen kommt ein „besonderer Gast“, der Herr Natas heißt (man lese diesen Namen rückwärts) und sofort damit beginnt, das Dorf einzuschüchtern und Fragen zu stellen, zu denen er, wie aus den aktuellen Strömungen der Politik ersichtlich, einfache Antworten parat hat. Anlehnungen an eine Partei, die zur Zeit besonders im Osten der Republik regen Zuspruch findet, sind keineswegs zufällig, sondern bewusst gewählt. Herr Natas wird von Anfang an trefflich als hoch unangenehmer Zeitgenosse dargestellt. Als ihn ein junges Mädchen fragt: „Wie reden Sie denn mit mir?“, bellt der Demagoge zurück: „Wie es mir passt.“ Herr Natas will, dass Lüttringhausen sich aus dem Remscheider Stadtverbund ausklinkt und eine selbstständige Ortschaft wird.
Wie es Christian Wüster (der selbst als leicht trotteliger Käsehändler Till Sitter mitspielt) schafft, trotz des düsteren Themas viel Humor einzubringen, ist schon höchst beachtlich. Die Spanne der Lacher reicht von Albernheiten, feinen Wortwitzen, Doppeldeutigkeiten bis hin zu Slappstick und Situationskomik. „Der Gast ist ein Politologe“, sagt im Stück die Bezirksbürgermeisterin Carla Basseck. Woraufhin eine Dorfbewohnerin antwortet: „Politologe ist nichts Schlimmes. Ich war letzte Woche noch bei einem.“
Nur weniger als eine Handvoll Lüttringhauser wehren sich gegen den rechten Hetzer. Unter ihnen ist auch Ambrosius (Jürgen Schrader), der Dorfälteste. Dieser ist es auch, der die inzwischen hoch dramatische Situation (Herr Natas bedroht Bewohner des Dorfes mit einer Pistole) durch eine flammende Rede, in der er auf die Grundwerte des bergischen Menschen eingeht, rettet. Natas muss fliehen, das Dorf bleibt weiterhin ein Stadtteil Remscheids. Am Ende erklingt traditionsgemäß das Bergische Heimatlied.
Wie beim Fußball ist auch beim Theater das Ensemble der Star. Nur in ganz besonderen Fällen sollte man Mitglieder des Teams herausheben. Das erscheint hier jedoch geboten: Wie es der 17-jährige (!) Marti Kammin schafft, nur durch Erscheinung und den Einsatz seiner Stimme eine bedrohliche Atmosphäre zu erzeugen (inklusive Anschreien des Publikums), ist ganz stark. Wie verlautet hat sich der Jungschauspieler auf die Rolle vorbereitet, in dem er Videos mit Auftritten von Joseph Goebbels analysiert und verinnerlicht hat. Diese Qual hat sich zweifelsohne gelohnt. Neben Wüster selbst („Der Käsehändler hat noch einen Verwandten: M.N.Taler“) brillieren alle Mitwirkenden vor, auf und hinter der Bühne. Selbst ein medizinischer Notfall während der Aufführung wird professionell behandelt, der Notarztwagen gerufen und der dehydrierte ältere Patient zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht. Aber wie im Stück „Die Ausgemeindung“ endet auch dieses Zwischenspiel positiv: Dem Mann geht es wieder gut.
Wer Chrstian Wüsters Theaterstück anlässig des 70. Geburtstages der Volksbühne noch einmal (oder zum ersten Mal) sehen möchte, hat dazu am Sonntag, den 3. November Gelegenheit. Dann gastiert das Ensemble im Remscheider Teo Otto Theater. „Dort ist eine völlig andere Atmosphäre“, sagt Christian Wüster, „aber es ist wetterunabhängig.“