(Ro./LMP) Am Donnerstagabend war im Reformierten Gemeindehaus Rainer Stuhlmann mit seinem Vortrag „Wir weigern uns, Feinde zu sein“ zu Gast. Der 1945 in Wuppertal geborene Theologe wirkte von 2011 bis 2016 als Studienleiter in Nes Ammim, einer 1963 gegründeten christlichen Gemeinde im Norden Israels, die sich für die Solidarität mit der jüdischen Bevölkerung und den Dialog zwischen Juden und Arabern einsetzt. In den Jahren 2019 und 2020 war Stuhlmann kommissarischer Probst in Jerusalem.
Gespannt folgten fast 100 Zuhörende den Ausführungen Stuhlmanns, der – ohne die Tragödie des Hamas-Massakers am 7.10.23 unerwähnt zu lassen – gleich zu Beginn auf die Ölbaum-Plantage des evangelisch-lutherischen Palästinensers Daoud Nassar in Beit Dschala zu sprechen kam. Nassars Farm sei seit 1916 von türkischen, britischen und zuletzt jordanischen Behörden beurkundet worden. Auch der oberste Gerichtshof Israels erkenne seinen Besitz an. Dennoch werde er von jüdischen Siedlern terrorisiert, die unter dem Schutz der israelischen Militärverwaltung stünden.
Diese Vorgehensweise der israelischen Behörden ist immer wieder ein Kernpunkt der Kritik Stuhlmanns, wenn er über die Bemühungen und den Dialog der verschiedenen interreligiösen Gruppen spricht.
Der palästinensische Christ Daoud Nassar ist für diesen Dialog ein Musterbeispiel – mit einer Jugendbegegnungsstätte auf seiner Besitzung fördert er den Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen. Bis zum 7. Oktober 2023 halfen jedes Jahr 13 000 Freiwillige aller Religionen aus 40 Nationen bei der Aprikosen-, Mandel- und Feigenernte. An der Zufahrt zu seiner Farm stehen auf zwei großen Steinen in arabischer, englischer, deutscher und hebräischer Sprache die Worte: „Wir weigern uns, Feinde zu sein.“ Dieser Gedanke – sich bewusst von den Feindseligkeiten abzuwenden und aufeinander zuzugehen – bildete den Mittelpunkt von Stuhlmanns Ausführungen.
Darüber hinaus berichtete er unter anderem über die „Combatants for Peace“, den „Parents‘ Circle“ und das „Rossing Center“ – Organisationen, die sich seit Jahren für einen inklusiven Frieden in Israel und für ein Verständnis für die Sicht des jeweils anderen einsetzen. Er plädiert auch auf christlicher Seite für ein Umdenken und ein Lernen von der jüdischen Theologie. Miteinander reden, voneinander lernen – das ist Stuhlmanns Devise.
Bei etlichen seiner Ausführungen wurde klar, wieso Stuhlmann in der Vergangenheit für seine israelkritischen Aussagen angegriffen wurde. Wenn er zum Beispiel von einem „giftigen Gedenken“ spricht, weil sich „Israel seit dem Eichmann-Prozess 1961 auf die Shoah und seine Opfersicht“ fixiere, dann ist das politisch in der Tat hochbrisant. Er verwies jedoch immer wieder darauf, dass es in den Konflikten seit 1948 auf beiden Seiten Täter und Opfer gegeben habe und weder Israelis noch Palästinenser dies verschweigen dürften.
In seinem Vortrag zweifelte Stuhlmann an keiner Stelle die Rechtmäßigkeit des jüdischen Staates an. Er versucht nach eigenen Worten „zu einer differenzierten Sicht beizutragen“ und wehrt sich gegen „Schwarz-Weiß-Malerei“. Stuhlmann kritisiert aber die Siedlungspolitik und das Vorgehen der israelischen Militärjustiz. „Israel ist die einzige Demokratie in dieser Region. Daran muss sich Israel aber auch messen lassen“, schloss Stuhlmann. „Ich hoffe, dass die Bemühungen der Menschen auf beiden Seiten irgendwann zum Frieden führen werden.“