Leserbrief

Zum Planfeststellungsbeschluss

Ausgabe 05 vom 4. Februar 2024

Die Lösung, die keine ist, aber Probleme schafft, die in dieser Generation nicht zu lösen sein werden.
Die Wuppertaler Verkehrspolitik ist gut darin, Probleme für Lösungen zu finden, die man immer schon mal verwirklicht sehen wollte (siehe die Seilbahn zwischen Hauptbahnhof und Küllenhahn). Nicht ganz so gut ist sie im Finden von wirklichen Lösungen für wirkliche Probleme und in der Beurteilung von Projekten, mit denen vorgegeben wird, genau dieses zu tun.
Spätestens seit den Verkehrsuntersuchungen (Zeithorizont 2030), die für den autobahnähnlichen Ausbau der L 419 durchgeführt wurden, ist in Bezug auf die Kernpunkte des Vorhabens die Faktenlage eindeutig. Bereits innerhalb der Vorhabenslogik und nicht erst, wenn man Nachhaltigkeits- und Kostenaspekte einbezieht, erweist sich der vor Jahrzehnten initiierte autobahnähnliche Ausbau der L 419 als dysfunktional und obsolet:
– Hauptargument für das Projekt war, eine signifikante Entlastung für die A 46 zu schaffen. Eine solche Entlastung findet, wie die Zahlen zeigen, jedoch einfach nicht statt. Stattdessen bleibt das Verkehrsaufkommen auf der A 46 auf dem gleichen Niveau.
– Die prognostizierte starke Verkehrszunahme auf der L 419, die es zu bewältigen gelte und die gerne zur Begründung des Ausbaus angeführt wird, wird tatsächlich durch den Ausbau erst bewirkt. Sie entspricht sogar der ursprünglichen Intention, größere Verkehrsmengen von der A 46 unter anderem auf die L 419 zu verlagern, nur dass diese Verkehre aus anderen Quellen kommen.
– Die von einigen Befürwortern des Vorhabens mantrahaft wiederholte Behauptung, der Verkehr im Ronsdorfer Stadtgebiet werde entlastet, ist durch die Verkehrsuntersuchungen nicht belegbar, plausibel ist eher ein gegenteiliger Effekt.
– Wenn der Ausbau der L 419 damit nicht nur dysfunktional ist, sondern sogar zu einer Verkehrszunahme und einer entsprechenden Belastungssteigerung führt, entfällt für die umfangreichen „Kollateralschäden“ in den Bereichen Umwelt, Klima und Lebensqualität im Stadtteil, die bei einem Ausbau in Kauf genommen werden, die legitimatorische Grundlage.
– Und schließlich legt die Argumentation der Befürworterinnen und Befürworter eines autobahnähnlichen Ausbaus der L 419 nahe, nur durch diesen Ausbau sei eine Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in die­sem Bereich zu erzielen.
Dieses binäre Denken entspringt dem seit längerem in Wuppertal (auch hier sei an die Seilbahnplanung erinnert) und anderswo zu beobachtenden Hang zur Polarisierung, die regelmäßig zu einer Verengung der Lösungsräume für die zu bearbeitenden Probleme führt.
Ab einem bestimmten, manchmal sehr frühen Zeitpunkt werden in der Diskussion über mögliche Lösungen weitere Alternativen bewusst nicht (mehr) in Betracht gezogen. Angesichts des moderaten Verkehrszuwachses, der sich auf der L 419 in der Zukunft ohne den Ausbau einstellen würde, erscheint eine Ertüchtigung der L 419 durch verschiedene Maß­nahmen als ausreichende und zielführende Option, so übrigens auch die Position der Grünen und wohl auch der Linken im Stadtrat.
Folgt man dieser Argumentation, stellt sich die Frage, warum der Ausbau dann trotzdemerfolgt bzw. die meisten Wuppertaler Ratsfraktionen den Ausbau befürworten.
Bekannt ist, dass politische Entscheidungen multikriteriell begründet sind, also nie einer reinen Sachlogik folgen und auch nie rein lösungsorientiert sind.
Die Entscheidungsprozesse, die zum Planfeststellungsbeschluss geführt haben, bieten sicherlich ausreichend Stoff für mehrere politikwissenschaftliche Mas­terarbeiten und Dissertationen.
Anstatt jedoch nun auf Antworten zu warten, die solche Analysen liefern würden, könnte man – bescheidener, dafür aber kurzfristig machbar – in einem ersten Schritt einmal systematisch die Positionen und vor allem die Begründungen der Verkehrspolitikerinnen und -politiker, die im Rat und im Landtag Wuppertaler Interessen vertreten, erheben und transparent machen und natürlich auch einem „Fakten-Check“ unterziehen.
Geschehen könnte dies beispielsweise in einem Studienprojekt an der Bergischen Uni. Vermutlich würden viele Wuppertalerinnen und Wuppertaler die Ergebnisse mit großem Interesse zur Kenntnis neh­men – und möglicherweise sogar bei ihren nächsten Wahlent­schei­dungen berücksichtigen.

Georg Wilke
Elfriede-Stremmel-Str. 53
42369 Wuppertal

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